Mach emal en Punkt!

25.04.2016 15:54

Mach emal en .

So oder ähnlich wurde mir rückgemeldet, wenn ich wieder mal einen Blog lostrat. Allerdings, die positiven und aufmunternden Voten überwogen.

„Mach emal en Punkt“, heisst soviel wie, hör endlich auf zu stürmen, lass die leidige Geschichte ruhen. Was soll die Gesellschaft von heute Verantwortung übernehmen für etwas, was ihre Väter und Grossväter im letzten Jahrhundert verbrochen haben? Alle hatten damals schwer zu tragen, alle mussten auf Feld und Hof arbeiten, nicht nur die Verding- und Heimkinder. Und Hand aufs Herz: En Chlapf a Gring hat auch niemandem geschadet. Soweit so nicht gut!

Ich habe mich im Vorfeld des Gedenkanlasses vom 11. April 2013 mit Herzblut dafür eingesetzt, dass sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga nicht einfach entschuldigt, sondern die direkt Betroffenen um Entschuldigung bittet und dass sie ihnen am Gedenkanlass das letzte Wort gewährt. Zu Beidem hat sie Ja gesagt.

Als ich nach meiner Rede, „letztes Wort eines Betroffenen“, im Vorbeigehen der Bundesrätin die Hand gab und ihr für ihr Engagement in der Sache dankte, wurde das von vielen Betroffenen dahingehend interpretiert, als hätte ich ihre Bitte um Entschuldigung angenommen. Habe ich nicht getan. Ich wollte abwarten und schauen, ob und wie die von der Bundesrätin formulierten Versprechen eingehalten und umgesetzt werden:

·       Dieser Gedenkanlass ist kein Abschluss, sondern der Anfang einer umfassenden Auseinander- setzung mit einem dunklen Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte.

·       Jeder Kanton hat eine Stelle bezeichnet, die den Betroffenen als Anlaufstelle zur Verfügung steht; dort erhalten Betroffene auch Unterstützung bei Fragen zu ihren Akten.

·       Ich möchte, dass die Thematik umfassend historisch aufgearbeitet wird. Wir alle müssen wissen, was Verdingkindern und weiteren Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen in der Schweiz widerfahren ist. Denn nur was wir kennen, können wir auch anerkennen.

·       Auch eine rechtliche Aufarbeitung ist nötig

·       Und darüber hinaus stellen sich finanzielle und möglicherweise auch noch weitere  Fragen.

Heute, drei Jahre später, darf ich mit einer gewissen Genugtuung feststellen, dass Frau Sommaruga Wort gehalten hat.

·     In der laufenden Sondersession steht im Nationalrat ein Gesetzesentwurf zur Debatte, der den Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen, im Sinne einer Wiedergutmachung, einen Solidaritätsfonds von 300 Mio. verspricht. Der Ständerat wird im Herbst darüber beraten. Ich hoffe doch sehr, dass dieses Gesetz in den beiden Kammern eine deutliche Mehrheit findet, sodass die Wiedergutmachungsinitiative von Guido Fluri zurückgezogen werden kann. Denn so bliebe uns allen eine unappetitliche Diskussion im Vorfeld der Abstimmung erspart.

·     Auf dem Weg ist eine vom Bundesrat eingesetzte Kommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der administrativen Versorgungen. Diese multidisziplinär zusammengesetzte Kommission soll bis Ende 2018 erste Resultate vorlegen.

·     Das beherzte Engagement vieler direkt Betroffenen, die Unterstützung der Medien, der Kulturschaffenden und eine Vernunftskoalition der politischen Parteien links der SVP, haben es geschafft, das Thema der „fürsorgerische Zwangsmassnahmen“ im Bewusstsein einer breiten Bevölkerung zu etablieren.

Aber es bleibt noch einiges zu tun. Noch gibt es Kantone, die den Vorwürfen von direkt Betroffenen hartnäckig Stand halten und nichts wissen wollen von konkreter Wiedergutmachung, geschweige denn von einer Entschuldigung. Auch die Landeskirchen eiern herum, obwohl gerade sie eine enorme Last an Verantwortung zu tragen hätten. Schön hat Bischof Markus Büchel uns am Gedenkanlass im Namen der Landeskirchen um Vergebung gebeten, den salbungsvollen Worten aber, sind nur klitzekleine Taten gefolgt.

Die für die Opfer gedachten Anlaufstellen in den Kantonen schwächeln. Ich zweifle, ob es klug war, diese Anlaufstellen den schon bestehenden Opferhilfestellen anzugliedern. Die Klagen von direkt Betroffenen, die sich nicht kompetent genug beraten fühlen, sind nicht zu überhören. Drei sprachregionale Anlaufstellen mit einer 0800 Nr., die in den Anfängen des Aufarbeitungsprozesses den Opfern mit geschulten Leuten (freiwillige Profis) rund um die Uhr zur Verfügung gestanden hätten, wären wohl die bessere Alternative gewesen. Doch des lieben Geldes wegen, verzichtete man auf diese Lösung.

Alles in Allem aber scheint der Aufarbeitungszug in die richtige Richtung zu rollen.

Ich habe mich deshalb entschieden, die Bitte um Entschuldigung von Frau Sommaruga anzunehmen.

Und so mache ich jetzt einen .und verabschiede mich als Blogger von ihnen.