Autoritäre Autorität!

26.02.2014 11:52

Schon ganz früh in meiner Kindheit habe ich beten, arbeiten und gehorchen gelernt. So wie man Kinder gegen allerlei Krankheiten mit Impfungen immunisiert, so wurde auch ich mit zahlreichen feinen, aber schmerzhaften Nadelstichen dahingehend konditioniert, dass das, was die autoritäre Autorität sagt und will, gerecht und rechtens sein muss. Mein Überleben hing also davon ab, wie klug ich mit diesen ständigen und erniedrigenden Massregelungen zurechtkam und wie ich das alles in mein Leben als Heimkind einordnen konnte. Eine der Strategien bestand darin, mich mit der autoritären Autorität zu verbünden und mich mit ihr zu identifizieren, mit dem Ziel, Gefälligkeit und Zuwendung zu erlangen. Je erfolgreicher mir dieser Anpassungsprozess gelang, desto höher stieg ich in der Gunst. Die mir damit zu Teil gewordene Anerkennung seitens der autoritären Autoritäten schmeichelte sehr und war Balsam auf meine Seele. Doch dadurch, dass ich mich aus Überlebensgründen anpasste und keinen Widerstand leistete, bestätigte ich ihnen auch, dass das, was sie mir antaten, gut und förderlich für mich war. Eine psychologisch zu deutende unheilige Allianz zwischen Opfer und Täter. Ich bin mir dieses teuflischen Kreislaufs erst viel später, als Erwachsener, bewusst geworden


Noch heute stelle ich fest, dass wir, die ehemaligen Heim- und Verdingkinder, im Umgang mit "Autoritäten" in einem grossen Zwiespalt sind, zwischen vorbehaltloser anerkennender Zustimmung auf der einen und Widerstand auf der anderen Seite. Es genügt z.B., wenn Bundesrätin Sommaruga in ihrer Rede am Gedenkanlass uns zuruft, "wir seien wichtig", schon brandet Applaus auf und es verstummt jegliche Kritik. Wir nehmen z.B. wort- und kritiklos zur Kenntnis, dass der Runde Tisch von einem Vertreter der "Koalition der Verantwortlichen" gemanagt wird, dem deshalb das wichtige Attribut "Unabhängigkeit" fehlt. Einzelne Opfer bejubeln ihn gar als "der richtige Mann am richtigen Ort", als einen "Sechser im Lotto"!

Es stört uns nicht, dass die "Koalition der Verantwortlichen" mit der "Ersatzmannschaft", mit der zweiten Garnitur also, am Runden Tisch sitzt. Was, wenn wir mehr Gewicht gefordert hätten? Mit Bischof Markus Büchel z.B., der uns am 11. April 2013 mit salbungsvollen Worten um Vergebung gebeten hat. Mit Peter Gomm z.B., dem Präsidenten der Sozialdirektorenkonferenz als Vertreter der Kantone? Mit Nationalrat Markus Ritter z.B., dem Präsidenten des Bauernverbandes, von dem man jetzt hört, dass er nicht gewillt sei, seinen finanziellen Beitrag an den Härtefallfonds zu leisten? Oder mit Nationalrat Ignazio Cassis z.B., dem Präsidenten von Cura Viva, dem Verband, der das damalige unwürdige Tun vieler Heime zu verantworten hatte? Ich kann mir die Antworten denken: Ihr seid naiv! Wo kämen wir da hin! Die haben keine Zeit! Das wäre vermessen!...

 

Als ich einmal an einer Sitzung zur Vorbereitung des Gedenkanlasses forderte, man möge diesen wichtigen Anlass im Nationalratssaal durchführen, dem Saal des Volkes, erntete ich nur Spott und Hohn. Da könnte ja jeder kommen...

 

Täusche ich mich, wenn ich behaupte, dass in uns drinnen immer noch eine Restangst nistet, eine Restangst vor erneuter Stigmatisierung, eine Restangst, die uns hindert, deutlich, laut, konsequent, selbstbewusst und solidarisch aufzutreten?

 

Ein anderes Beispiel: Wir freuten uns sehr darüber, als die Räte ein Rehabilitierungsgesetz für die Opfer "administrativ Versorgter" verabschiedeten, obwohl in Art. 4 des Gesetzes ausdrücklich festgeschrieben ist, dass "aus der Anerkennung des Unrechts kein Anspruch auf Schadenersatz oder sonstige finanzielle Leistungen entsteht". Ein zahnloses Gesetzt also. Weshalb also die Freude? Vielleicht deshalb, weil unsere Anliegen nach Jahren des Schweigens endlich in den "heiligen Hallen" des Bundeshauses Eingang gefunden haben? Vielleicht auch deshalb, weil wir ein klein wenig näher an die "hohe Politik" herangerückt sind? Weil wir gerne auch ein wenig von der Macht riechen möchten die von dort kommt?

 

Ich will nicht ironisch sein! Ich hoffe einfach und wünsche mir, dass alle Opfer von "fürsorgerischen Zwangsmassnahmen" von der offiziellen Schweiz bald einmal das bekommen was ihnen schon lange zusteht: Anerkennung - Respekt - Würde und die Kompensationszahlungen, für die sie als Kinder streng gearbeitet und auch gelitten haben.